Nach einer erwartbar auslaugenden Odyssee mit den öffentlichen Verkehrsmitteln kam die Gruppe der Ostseeschule in Ückeritz auf Usedom am späten Nachmittag in der Jugendbegegnungsstätte am Goldensee an. Unserem Team erging es zum Glück besser, sodass die beiden Köpfe hinter der Fahrt, Feo Böcker und Stefan Boresch, genug Zeit hatten, alles für die Jugendlichen vorzubereiten. Für ein kleines Kooperationsspiel blieb so genügend Raum, zum Ausklang des Tages und Einstieg ins Thema zeigten wir im improvisierten Herbergskino Bullys „Ballon“.
Am zweiten Tag ging es nach Schwerin – für einige Jugendliche der erste Besuch ihrer Landeshauptstadt. Wie gewohnt bekamen wir eine hervorragende Führung durch die Gedenkstätte Demmlerplatz mit der langen Unrechtsgeschichte des Orts im Nationalsozialismus und der DDR. Besonderen Eindruck machte der Zeitzeuge Uwe Kaspereit, der u.a. am Demmlerplatz in Haft war. Eigentlich wollte er nur aus der DDR ausreisen und stellte mit einem Freund bei den Behörden einen entsprechenden Antrag. Diese machten ihm unmissverständlich klar, dass der Antrag nicht nur abgelehnt würde, sondern dass es für ihn Konsequenzen haben würde, wenn er nicht lockerließe. Kaspereit ließ aber nicht locker. Zum 1. Mai fertigten die beiden Plakate mit Losungen an, die denen der Partei ähnlich genug waren, um linientreu zu klingen, zugleich aber auch anders interpretiert werden konnten. Die wenig wohlwollende Obrigkeit drehte Uwe Kaspereit und seinem Freund auch daraus einen Strick: Es handle sich um Einflussnahme auf staatliche Organe. So begann eine lange Irrfahrt durch verschiedene Haftanstalten, ohne dass unser Zeitzeuge dabei so genau wusste, wo er sich überhaupt befand. Die Bundesrepublik kaufte ihn schließlich frei, der Traum vom Leben in Hamburg wurde endlich wahr. Erst Jahre später fand er heraus, dass er hier in Schwerin inhaftiert war. Seitdem berichtet er Gästen von seiner Geschichte.
Für Uwe Kaspereit ging es stets um Freiheit. Die Jugendlichen interessierten sich sehr für diesen Punkt, wollten wissen, was genau er darunter versteht und was in der DDR an Freiheiten fehlte. Der Zeitzeuge antwortete: Nicht der Warenüberfluss oder das Konsumangebot des Westens lockten ihn, sondern die Möglichkeit, selbstbestimmt in die Länder zu reisen, die er gerne sehen möchte. Er sah sich nie als politischer Überzeugungstäter oder Oppositioneller aus Prinzip, er wollte einfach nur dorthin reisen, wo es ihn hinzog.
Dass die Geschichte ein Happy End fand, war eine schöne Überleitung zur Erkundung der Schweriner Altstadt. Mit der App Actionbound bewaffnet gingen die Jugendlichen auf Schnitzeljagd und genossen nebenbei den milden Maitag.
Der dritte Tag stand im Zeichen des Lieblingsthemas unseres Zeitzeugen: Die Jugendlichen setzten sich mit Freiheit und Unfreiheit auseinander. Es ging um Lebensnahes, Grundfreiheiten im Alltag wie das Recht auf Freizügigkeit, es ging um die Einschränkung dieser Rechte in der DDR und die Frage, inwieweit sie heute immer noch eingeschränkt sind. Auch die Philosophie hatte ihren Gastauftritt, in Kleingruppen wandten die Teilnehmenden Isaiah Berlins Freiheitsbegriff auf die historische Situation der späten DDR an. Dabei stellten sie immer wieder den Bezug zu Uwe Kaspereit her: Welche Freiheiten fehlten ihm? Wie wichtig sind diese für uns? Und haben wir sie heute in vollem Umfang? Sind wir zufrieden mit unserem Maß an Freiheit? Die möglichen Antworten wurden diskutiert und am Ende fanden wir heraus, dass wir trotz der Übereinstimmung, dass Grundfreiheiten für uns alle wichtig sind, doch in den Details sehr unterschiedliche Ansichten haben – und dass das auch gut so ist.
Am letzten Tag ging es noch ins Grenzhus, in dem die Geschichte der ehemaligen innerdeutschen Grenze erzählt wird. Besonderen Eindruck machte die rekonstruierte Grenzanlage mit Zaun, entmilitarisierter Selbstschussanlage und Turm. Am Nachmittag ging es dann zurück nach Usedom.