von Max Gröllich.

„Erinnern Intergenerationell“ war das Thema unserer Exkursion vom 08.-10. April 2022. Im Zentrum stand der Samstag, der komplett durch Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gefüllt wurde. Zu diesem Zweck hatten wir Fr. Gisela Kallenbach und Hr. Alexander Richter-Kariger eingeladen. Beide haben nicht nur faszinierende Lebensgeschichten zu berichten, sondern konnten die teilnehmenden Studierenden auch an ihrer langjährigen Erfahrung in der Rolle als Zeitzeugin bzw. Zeitzeuge teilhaben lassen.

Die Unterschiedlichkeit der Geschichten und der Vorträge ermöglichten uns tiefe Einblicke in persönliche Schicksale, aber auch in die verschiedenen Facetten von Zeitzeugenarbeit insgesamt:

Auf der Seite von Herrn Richter gab es einen intensiven biographischen Bericht, eine konzentrierte, schonungslose Erzählung des eigenen Lebens, mit allen zugehörigen Höhen und Tiefen. Der Bericht aus der politischen Haft bildete den Höhepunkt der Erzählung, der sichtlich Eindruck auf die versammelten Studierenden machte.

Auf der anderen Seite präsentierte uns Frau Kallenbach den scharfsinnigen und analytischen Blick einer engagierten Macherin, die die politischen Verhältnisse niemals als gegeben akzeptieren konnte, sondern ihren eigenen Schlüssen und ihrem Gewissen folgend die Verhältnisse mitgestaltete und bis heute mitgestaltet.

Hier der Mann, der für seine künstlerische Tätigkeit inhaftiert wurde, der unschuldig im Gefängnis saß und nur durch einen Freikauf der BRD freikam, der aber dennoch das Wort „Opfer“ entschieden von sich weist. Dort die Frau, die eine andere, bessere DDR wollte, die sich für Umweltschutz und Menschenrechte einsetzte und schließlich auch die Gestaltung der Wende nicht den alten Herren in Bonn überlassen wollte, sondern kräftig mitmischte und eigene Akzente setzte.

Ein Auftritt einer Zeitzeugin oder eines Zeitzeugen kann von Leiden, aber auch von Triumphen handeln. Er kann ein persönlicher, spontaner Erinnerungsakt sein oder aber ein textgestützter Vortrag, der Persönliches mit Politischem mischt und historische sowie gesellschaftspolitische Problemlagen thematisiert.

Beides ist reizvoll, beides ist legitim und lehrreich. Dabei gilt es natürlich immer gewisse Schwierigkeiten und Fallstricke zu bedenken, sowohl in wissenschaftlicher als auch in pädagogischer Hinsicht. Über diese tauschten wir uns im Anschluss aus.

Einen weiteren Bericht zum Zeitzeugenteil kann in der aktuellen „Freiheitsglocke“, Presseorgarn der VOS (Vereinigung der Opfer des Stalinismus), gefunden werden.

Ort des Geschehens war die Jugendbegegnungsstätte Am Goldensee in Groß Thurow. Das ist ein Ort, der Geschichte atmet: Mitten im Grünen Band, an der ehemaligen Grenze gelegen und beheimatet in Gebäuden, die einst dem Grenzschutz unterstellt waren. Die Idylle am Goldensee lädt ein, die turbulente und teils gewaltvolle Geschichte unter der ruhigen Oberfläche aus Grün- und Blautönen zu erkunden.

Das Programm wurde eingerahmt durch den Besuch zweier Gedenkstätten am Freitag und Sonntag. Am Demmlerplatz in Schwerin befindet sich ein ehemaliges Gefängnisgebäude. Errichtet noch im Kaiserreich diente es in vier politischen Systemen als Gefängnis nicht nur, aber auch für politische Häftlinge. Die Ausstellung beschäftigt sich vor allem mit drei Phasen: Dem Nationalsozialismus, der Zeit der sowjetischen Besatzung und der Nutzung des Gefängnisses durch die DDR. Thematisiert werden politische Justiz, Haftbedingungen und Haftalltag, zudem beschäftigt sich die Gedenkstätte sehr genau mit einigen Einzelschicksalen, zu denen Lernmaterial und Workshops angeboten werden.

Am Sonntag fand der letzte Termin am Grenzhus Schlagsdorf statt. Ein ehem. Grenzübergang, der heute eine Rekonstruktion aus Originalteilen eines Stücks Grenze inklusive Wachturm und Selbstschussanlagenattrappe sowie ein Museum umfasst. In der Ausstellung geht es um den Alltag der Menschen im Grenzgebiet zur Zeit der Teilung Deutschlands, um die historische Entwicklung der Grenze zwischen 1949 und 1989 sowie die Gegenwart als Naturschutzgebiet. Der Ort ist zudem Dreh- und Angelpunkt des Jugend-Erinnert-Projekts „FREMD?“. Dieses beschäftigt sich damit, wie migrantische Perspektiven und ein migrantisches Zielpublikum besser in die Aufarbeitung der DDR-Geschichte eingebunden werden können. Für das Expertinnengespräch mit der verantwortlichen Koordinatorin, Luisa Taschner, sind wir überaus dankbar!

Letztlich ist „An die Grenze gehen“ ja immer auf Jugendbildungsarbeit ausgerichtet. Unser Ziel ist es, Konzepte und Methoden für Klassenfahrten zu entwickeln, die am authentischen historischen Ort stattfinden. Hierfür haben wir uns intensiv mit einer herausragenden Form der Geschichtsvermittlung beschäftigt, der Zeitzeugenarbeit. Zusätzlich haben wir einen guten Einblick in die Region erhalten und die Möglichkeiten, vor Ort zu arbeiten gesichtet. Für die weitere Entwicklung unserer Konzepte war es ein sehr hilfreiches Wochenende.

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